Zeitreise-Bericht einer 9. Klasse des Julius-Motteler-Gymnasiums in Crimmitschau am 9. Januar 2020
Wir schreiben das Jahr 2040
Die folgende Live-Schaltung aus dem Jahr 2040 entstand am Julius-Motteler-Gymnasium in Crimmitschau, baut aber auf einem Gesellschaftsentwurf einer 10. Klasse am BIP Kreativitätsgymnasium auf.
Charles Webster hat alle und alles im Griff im „neuen Deutschland“, wie er es selbst taufte. An die Macht kam er ganz demokratisch. Charles Webster versprach in seinem Wahlkampf im Jahr 2028, die Schere zwischen Arm und Reich nun endgültig zu schließen. Aufgrund der extremen sozialen Ungleichheit im Lande reichte dies aus, um die absolute Mehrheit zu erlangen. Sogleich führte er die „Stonks-Steuer“ ein – er beschlagnahmte gegen eine „gerechte Entschädigung“ den Besitz der Reichen und investierte das so gewonnene Geld in den Bau von Schulen und in landwirtschaftliches Know-how.
Allerdings war der Machthunger von Charles Webster damit noch nicht gestillt. Seinem ehrgeizigen Charakter reichte es nicht, die Mehrheit der Bevölkerung auf seiner Seite zu wissen, er strebte schon bald nach vollständiger Kontrolle. Mit der Erfindung des „Antidots“ konnte sich Charles Webster seinen Wunsch nach absoluter Macht erfüllen, die er seitdem uneingeschränkt ausübt – ohne dass dies von Seiten der Bevölkerung auf sichtbare Gegenwehr stößt.
Bei dem als Heilsbringer angepriesenen „Antidot“ handelt es sich um einen kleinen Chip, der im Ohr implementiert wird und dem Nutzer eine nach individuellen Wünschen geschaffene Welt simuliert. Die angesagte „Droge“ entfaltete schon bald ihre Wirkung. In kurzer Zeit wollten alle Bürger das „Antidot“ haben, zumal es kostenlos zur Verfügung gestellt wird.
Aber auch das war Charles Webster nicht genug. Seinen IT-Experten gelang es, die Geräte derart zu manipulieren, dass in diese schöne, neue virtuelle Welt auch politische Botschaften und Befehle erfolgreich transportiert werden konnten. So kontrolliert Charles Webster inzwischen die gesamte Bevölkerung.
Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…
1. Akt: Websters Büro
Charles Webster ruft den Leiter seiner IT-Abteilung zu sich, um seine neue Wahlkampfstrategie zu besprechen.
Charles Webster (ruft aus seinem Büro): Direktor Meier, kommen Sie bitte in mein Büro.
Direktor Meier (tritt ein): Guten Morgen, Herr Webster.
Charles Webster: Guten Tag. Die Sache ist die: Wir arbeiten ja schon so lange zusammen. Seit 12 Jahren bin ich an der Macht und Sie sind mein wichtigster Mann. Nächste Woche sind ja Wahlen, und wir möchten beide, dass ich wiedergewählt werde. Ich möchte meine Macht behalten und Sie Ihren Job. Da habe ich mir gedacht, dass wir die Antidots etwas ausnutzen könnten.
Direktor Meier: Wie meinen Sie das?
Charles Webster: Ich habe eine Theatertruppe engagiert, die hat eine kleine Szene gespielt: Und zwar, wie es wäre, wenn mein Gegenkandidat, Herr Schmidt, seinen Sohn im Streit schlägt. Das wäre gut für unseren Wahlkampf, weil Herr Schmidt ja immer mit seiner Familienpolitik wirbt. Schauen Sie es sich mal an. (drückt einen Knopf, ein Video wird abgespielt)
Falscher Sohn: Papa, ich habe in einer Woche Geburtstag. Ich wünsche mir so sehr eine Playstation 12. Kann ich sie endlich zu meinem Geburtstag bekommen?
Falscher Herr Schmidt: Nein, Sohn, deine Schulnoten sind zu schlecht dafür.
Falscher Sohn: Aber ich habe mich doch schon voll verbessert!
Falscher Herr Schmidt: Nein, Kevin ist immer noch besser als du!
Falscher Sohn: Was hat denn das mit Kevin zu tun? Ich habe mir so viel Mühe gegeben, und außerdem ist die Playstation gerade im Angebot.
Falscher Herr Schmidt: Gib dir so viel Mühe wie Kevin, dann klappt das!
Falscher Sohn: Du bist so ätzend manchmal, ich hasse dich!
Der falsche Herr Schmidt gibt seinem falschen Sohn eine Ohrfeige. Charles Webster schaltet das Video aus.
Charles Webster: Und, was halten Sie davon?
Direktor Meier: Das finde ich sehr gut. Wirklich lebensecht, total glaubwürdig!
Charles Webster: Dann sorge dafür, dass das alle auf ihren Antidots sehen. Und sorge außerdem dafür, dass man sieht, wie ich diese neue moderne Grundschule eröffne. Mit den ganzen glücklichen Kindern. Deine Animatoren sollen mal dafür sorgen, dass das gut rüberkommt.
Direktor Meier: Alles klar, wird gemacht.
Direktor Meier verlässt das Büro und eilt in die IT-Abteilung.
Direktor Meier: Fritz!
Frau Fritz: Ja?
Direktor Meier: Bitte sehr. (wirft ein Handy auf den Tisch)
Frau Fritz: Was ist denn das?
Direktor Meier: Ein Handy.
Frau Fritz: Das ist mir klar, aber was soll ich denn damit anfangen?
Direktor Meier: Da ist ein Video drauf, das lädst du auf alle Antidots hoch.
Frau Fritz: Was ist denn auf dem Video zu sehen?
Direktor Meier: Etwas, das Herrn Schmidt belasten wird. Wegen der Wahl.
Frau Fritz (erschrocken): Aber … kann man das denn machen?
Direktor Meier: Ja, das können wir machen. Die Anweisung kommt direkt von Chuck Webster. Du bekommst so viel Geld von ihm, da kannst du das wohl machen.
Frau Fritz (resigniert): Na gut…
Direktor Meier: Außerdem sprichst du noch mit den Animatoren, die sollen morgen ein Video hochladen, wie der Chuck die Grundschule eröffnet und die Kinder alle glücklich sind.
Frau Fritz: Okay, kann ich machen.
Frau Fritz macht sich mit einem schlechten Gewissen an die Arbeit.
2. Akt: Websters Büro
Ein aufgebrachter Herr Schmidt stürmt in das Büro von Charles Webster.
Herr Schmidt (wütend): Also, Chuck, das kann doch wohl nicht wahr sein. Du lässt mich mit diesem Fake-Video so schlecht dastehen, das geht mal gar nicht.
Charles Webster (gespielt betroffen): Zunächst einmal, Herr Schmidt, bin ich empört, dass Sie hier so einfach hereinplatzen. Und zweitens (grinst Herrn Schmidt breit an): Dafür sind die Antidots doch da.
Herr Schmidt (empört): Aber das geht so nicht. So wird der Wahlkampf unfair manipuliert!
Charles Webster: Vor 12 Jahren hast du doch so etwas Ähnliches auch bei mir versucht. Damals, als ich an die Macht gekommen bin.
Herr Schmidt: Das ist aber lange her, und wir leben im Hier und Jetzt. Und das geht so einfach nicht!
Charles Webster: Tja, im Hier und Jetzt habe ich es geschafft, die Schere zwischen Arm und Reich immer kleiner werden zu lassen. Dafür wurde ich gewählt. Außerdem hat jetzt jeder diese Antidots im Ohr, womit…
Bevor Charles Webster seinen Satz beenden kann, verlässt der zornige Herr Schmidt laut türschlagend das Büro.
3. Akt: Im Wahllokal
Ein Wähler und eine Wählerin treffen sich im Wahllokal und tauschen die neuesten Nachrichten aus.
Herr Müller: Hast du auch mitbekommen, was der Herr Schmidt mit seinem Sohn gemacht hat?
Frau Kunze: Ja, das war wirklich das Allerletzte.
Herr Müller: Ich glaube, der wird bei dieser Wahl nicht mehr gewählt.
Frau Kunze: Nein, vor allem nicht, weil er ja immer mit seiner Familienpolitik wirbt. Und dann seinen eigenen Sohn schlägt…
Herr Müller: Eben, deshalb wähle ich ihn dieses Mal nicht.
Frau Kunze: Ich garantiert auch nicht. Ich gehe dann mal in die Wahlkabine, bis später.
Geht kopfschüttelnd in die Wahlkabine.