Ein Zeitreise-Bericht einer 12. Klasse am Beruflichen Schulzentrum Delitzsch vom 18. bis 19. November 2021
Wir schreiben das Jahr 2040
Ich durfte für einen Tag (es war ein Freitag) das Leben eines Bürgers der Zukunft führen. Um 6.30 Uhr weckte mich virtuelles Sonnenlicht in meinem Zimmer. Die Fenster ließen sich nicht öffnen. Ich nehme an, wegen des Klimawandels. Sodann wurde ich von einem Küchenautomaten bekocht. Das Ergebnis war gewöhnungsbedürftig.
Nach dem Frühstück fuhr mich ein selbstfahrendes Auto zu meiner Arbeitsstelle. Mir fiel auf, dass außer dem Öffentlichen Verkehr nur sehr wenige private Autos in der Stadt unterwegs waren. Ich fuhr vorbei an Tagelöhnern, Obdachlosen und wohl auch Kleinkriminellen. Ich sah, wie Menschen bettelten oder an Ausgabestellen für Kleidung und Essen anstanden. Es gab auch einige Schießereien, ohne dass die Polizei auftauchte.
Auf der Arbeit fragte ich die Kollegen nach den Hintergründen. Sie berichteten mir, dass die Mafia die Geschicke nicht nur Deutschlands sondern beinahe der ganzen Welt bestimme. Die vor knapp zehn Jahren nach dem Vorbild der EU entstandene Pangäische Union (PU), der über 100 Länder der Erde angehörten, habe kaum reale Macht. Zwar würden die Regierungsgeschäfte von der Pängäischen Kommission geführt, deren Abgeordnete aus allen Mitgliedstaaten mit einer Kommissionspräsidentin an der Spitze gleichberechtigt tagten und über politische Fragen entschieden, jedoch sei diese Kommission immer wieder auf die finanzielle Unterstützung und den Gutwillen der Mafia-Bosse angewiesen. Derart werde das organisierte Verbrechen, ja der Drogen- und Waffenhandel kaum bekämpft, vielmehr gefördert. Lediglich einige Bürgerwehren seien gegen die Mafia-Banden aktiv. Zudem solle ich mich über meinen Arbeitsplatz freuen, da der Großteil der Bevölkerung aus Arbeitslosen und Geringverdienern bestehe, die immer unzufriedener würden und zuweilen den Aufstand probten.
Von diesen Informationen reichlich ernüchtert, versuchte ich mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich hatte als Proband in einem medizintechnischen Unternehmen Brillen zu testen, die alle Funktionen der einstigen Smartphones beherrschten, jedoch auch die Vitalfunktionen ihrer Träger auslesen und beeinflussen konnten. Unter der Hand erfuhr ich, dass diese Brillen insbesondere zur Ausrüstung von Soldaten gehörten.
Nach der Arbeit holte ich meine beiden Kinder von der Schule ab, in der die ganze Woche über Unterricht und ihre Unterbringung stattfand. Sie erzählten mir von der Beschulung durch intelligente Lernprogramme ganz ohne menschliche Lehrer.
Um abends einschlafen zu können, wurde ein Sternenhimmel an meine Zimmerdecke projiziert. Ich wünschte mir sehnlichst, am nächsten Morgen wieder in der Vergangenheit im Jahr 2021 aufzuwachen und dass dieser Tag nicht viel mehr als ein Alptraum gewesen sei.
Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…
1. Akt: Im deutschen PU-Kommissariat
Der deutsche Kommissar der Pangäischen Union (PU) empfängt seine französische Amtskollegin in seinem Kommissariat, dem ehemaligen Kanzleramt in Berlin, zum Krisengespräch. Er wirkt sehr angespannt und setzt zugleich große Hoffnungen auf die französische Kommissarin, die zurzeit den Vorsitz in der Pangäischen Kommission innehat.
PU-Kommissar (aufgeregt): Die Lage spitzt sich zu, ich weiß nicht mehr, wie wir handeln sollen?
PU-Kommissarin (tatkräftig): Um nicht einen Aufstand der armen deutschen Bevölkerung und ein Übergreifen auf andere Länder der Union zu riskieren, müssen Sie den bedürftigen Bürgern Ihres Landes Rationen an Lebensmitteln und ein minimales Taschengeld zuteilen.
Kommissar: Aber das können wir unmöglich alleine schaffen!
Kommissarin (etwas geheimnisvoll): Es gibt nur einen, der uns helfen kann.
Sekretärin (eintretend): Entschuldigen Sie, Herr Corleone ist eingetroffen!
Ein reifer, schnauzbärtiger Mann im Anzug mit Fliege betritt, gefolgt von mehreren Getreuen, das Büro des deutschen PU-Kommissars. Es ist Don Corleone, einer der reichsten und wichtigsten Köpfe eines weltweit operierenden Mafia-Kartells, dem Clans aus den verschiedenstem, auch aus PU-Ländern angehören.
Kommissar (unsicher über die Identität des Gastes): Äh, herzlich willkommen, Herr, Herr?
Don Corleone ignoriert den Kommissar und strebt wie ein alter Bekannter auf die französische Kommissarin und Kommissionspräsidentin zu, um sie mit einem Handkuss zu begrüßen.
Don Corleone: Buongiorno, Mademoiselle!
Kommissarin: Merci, Vittorio, wie nett!
Don Corleone (mit italienischem Akzent): Sie haben mich gerufen?
Kommissar: Äh, nun ja!
Don Corleone: Aus welchen Gründen?
Kommissarin: Wir brauchen kleine Lebensmittel- und Bargeldrationen zur Ruhigstellung der armen Bevölkerung in Deutschland. Und wenn es funktioniert, wohl auch in weiteren Ländern der Union.
Don Corleone (keine Miene verziehend): Und ich brauche ein Angebot.
Kommissar (plötzlich sehr engagiert): Wir können Ihnen unsere neueste – na Sie wissen schon – Technologie anbieten.
Don Corleone: Ich brauche eine Stückzahl von 10.500. Lieferung bis Ende nächster Woche!
Kommissar (mit ausgestreckter rechter Hand): Deal!
Don Corleone (mit festem Händegriff): Deal!
Die drei begeben sich in den Salon neben dem Büro. Der Kommissar kredenzt dem Italiener und der Französin als Geste des Danks eine Flasche Pinot, Jahrgang 2025, aus bester Elb-Lage. Don Corleone, seit dem klimabedingten Niedergang des italienischen Weinbaus ein Liebhaber deutscher Weine aus den Anbaugebieten zwischen Sachsen und Mecklenburg, ordert sogleich eine ganze Ladung dieser Sorte für seine Rückreise.
2. Akt: Die Tagesschau
Am Abend desselben Tages läuft die Tagesschau, mit dem traditionellen Jingle.
Nachrichtensprecherin: Guten Abend, meine Damen und Herren! Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit einer Eilmeldung.
Die Lage ist ernst. Wir Bürger können nicht mehr ausreichend versorgt werden. Um unser Land am Leben zu halten, fand heute ein Krisentreffen zwischen dem deutschen Kommissar und der französischen Kommissarin und Vorsitzenden der Pangäischen Kommission statt. Ein unbekannter, Gerüchten zufolge russischer Financier soll beiden zugesichert haben, die Kosten für die nötigen Lebensmittelrationen und ein kleines Tagegeld zugunsten der bedürftigen deutschen Bevölkerung zu tragen. Als Gegenleistung hat das deutsche Kommissariat und die Pangäische Union einen Technologie-Transfer in die Heimat des großzügigen Unterstützers in Aussicht gestellt. Unbestätigte Quellen sprechen jedoch von Waffenlieferungen. (auffallend fröhlich) Wie dem auch sei, ein Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen! Wir sind guter Dinge, diese schwere Zeit zu überstehen.
Und jetzt zum Wetter!
3. Akt: Auf dem Stammsitz Don Corleones
Don Corleone sitzt mit Fabrizio, seinem getreuesten Gehilfen, in der klimatisierten tempelgroßen Veranda seines Anwesens. Bei sächsischem Rotwein, einer Brise Kokain und mit Blick auf das in der rekordverdächtigen Hitze flirrende Mittelmeer begutachten sie ein Laser-Sturmgewehr des neuen Typs HK 440 aus der gerade eingetroffenen Großlieferung.
Don Corleone (die Waffe streichelnd): Fabrizio, was sagst du zu diesem Baby?
Fabrizio (die Waffe zur Probe anlegend und entsichernd): Niente male! Deutsche Qualität, nicht schlecht.
Don Corleone (schwärmend): Die Kleine kann bei nur einem Kilo Gewicht auf zwei Kilometern und auch durch Fensterscheiben dem Gegner den Arsch versengen, ohne ihn zu töten. Was Feines für unsere Amici dittatori (Diktatorenfreunde) in der ganzen Welt.
Hausherrin (Don Corleones Ehefrau) (plötzlich eintretend): Vitorrio, wir haben einen Gast!
Eine kleine Frau, in schäbiger Kleidung und älter als ihre 21 Jahre aussehend, kommt hinter der Hausherrin zum Vorschein.
Bettlerin (schüchtern): Ich bräuchte Geld, für mein Studium.
Don Corleone (väterlich): Komm setz dich zu uns, Kleine! (sie setzt sich) Was brauchst du?
Hausherrin (der Antwort zuvorkommend): Sie ist die Tochter unseres Küchenchefs. Aber sein Gehalt reicht nicht zur weiteren Finanzierung ihres Studiums. Sie will Medizintechnikerin werden. Komm, Vito, tue was Gutes! Gib ihr Geld oder ihrem Vater mehr Lohn!
Don Corleone (nüchtern): Wir haben kein Geld.
Hausherrin (ihren Mann streng anblickend): Doch, Vittorio, wir haben Geld!
Don Corleone (genervt): Nein, wir haben kein Geld!
Hausherrin (unbeirrt): Doch, wir haben Geld! Genug, um etwas abzugeben.
Don Corleone (mit einer abwehrenden Handbewegung): Fabrizio, schaff sie mir aus den Augen! Und kündige dem Küchenchef! Es ist sowieso an der Zeit, dass mal ein neuer Geist und Geschmack unser Essen bestimmt.
Fabrizio führt die junge Studentin mit festem Griff nach draußen. Die geschockte Ehefrau sieht sprach- und tatenlos zu und verlässt die Veranda.
Don Corleone (zufrieden und zu sich selbst): Das Verbrechen siegt immer. Immer!
Er gießt sich ein weiteres Gläschen des Elbweines ein.