Ein Zeitreise-Bericht einer 12. Klasse am Beruflichen Schulzentrum Delitzsch vom 18. bis 19. November 2021
Wir schreiben das Jahr 2040
Nach vier Jahren der Ampelregierung und einer ungelösten Weltwirtschaftskrise hat 2025 eine neue populistische Partei, die sich „Die Retter“ nennt, die Wahlen gewonnen und sogleich alle staatlichen Organe unter ihre Kontrolle gebracht. Nur ein Jahr später konnte sie ihr Wahlversprechen, den „Dexit“, realisieren und somit aus der Europäischen Union austreten.
Um das Land noch stärker von seinen Nachbarn zu isolieren und die Kontrolle über die eigenen Bürger zu verstärken, wurde der Bevölkerung 2030 in den gleichgeschalteten Medien suggeriert, dass ein neuer, ja nuklearer Weltkrieg stattfinde und sie nur in einer Zone auf dem Territorium Mitteldeutschlands sicher sei, um die man in Rekordzeit eine Strahlenschutzmauer gebaut habe. Dieser Lüge erliegen die meisten Menschen, zumal sie seit nunmehr zehn Jahren im Geschichtsunterricht schon der Grundschulen gelehrt und in den Medien immer wiederholt wird. Und tatsächlich besteht keinerlei Zugang zur angeblich verstrahlten, öden Außenwelt, um die Wirklichkeit zu überprüfen.
Die Regierung hält ihre in die streng überwachte Zone gezwungenen Bürger zu schwerer und umfangreicher Arbeit für einige ausgewählte Unternehmer an und verlangt absolute Dankbarkeit für diese Beschäftigungsmöglichkeit, die den Menschen nur den Grundbedarf des Lebens sichert. Unter fadenscheinigen Versprechungen wurden auch einige Arbeiter aus dem Ausland angelockt, die jedoch über die Situation in ihrem Heimatland schweigen müssen und nicht zurückkehren dürfen. Die Arbeitsmoral wird künstlich erhöht durch Nanochips, welche schon den Jüngsten eingeimpft werden. Diese Chips sollen die Kraft und Gesundheit der Arbeitstätigen fördern, in Wirklichkeit jedoch betäuben sie nur das Schmerzempfinden und die natürlichen Belastungsgrenzen. Nicht zuletzt dienen die Chips auch der absoluten Kontrolle der Bürger, um ihren Aufenthalt, ihre Arbeitsintensität, ihre Aussagen, ja ihre Identität zu überwachen.
Bei Arbeitsverweigerung oder Anfechtungen der staatlich propagierten Wahrheit erfolgt als Strafe eine Abschaltung der Nanochips der Widerständigen. Sofort spüren die Betroffenen die Erschöpfung und den Schmerz durch die Überarbeitung. Bei nicht wenigen sind Schockzustände oder gar der Tod die Folge. In jedem Fall, auch wenn man überlebt, verliert man ohne Chip seine Identität. Man kann nicht mehr auf legalem Wege einkaufen, sich nicht mehr frei bewegen und keiner offiziellen Arbeit nachgehen
Dennoch gibt es immer wieder Menschen, die gegen dieses Regime opponieren und ihren Stolz bis zuletzt bewahren.
Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…
1. Akt: In der Chip-Fabrik
In einer Fabrik werden unter schwersten Bedingungen von hunderten Arbeitern Nanochips hergestellt. Der Verwendungszweck bzw. die genaue Funktionsweise dieser Chips wird verheimlicht, obwohl nicht wenige Arbeiter davon eine Ahnung haben. Der Fabrikbesitzer macht wie jeden Samstag auch heute in seiner feinsten Robe einen Kontrollgang durch die Fertigungshallen. Er bleibt plötzlich bei Miguel, einem spanischen Arbeiter, der am Fließband hantiert, stehen.
Miguel (verunsichert und doch versucht freundlich): Oh hallo, Señor!
Fabrikbesitzer (aufgesetzt freundlich): Hallo Miguelito, warum arbeiten Sie denn so langsam? Wir wollen doch keine Müdigkeit vorschützen? Nach nur 16 Stunden muss man das doch hinkriegen!
Miguel (mutig): Ich verweigern weiterarbeiten!
Fabrikbesitzer (von oben herab): Was haben Sie da gerade gesagt?
Miguel (impulsiv): Ich wille nicht arbeiten mehr!!!
Fabrikbesitzer (streng): Sie kommen hierher in meine Firma, die vom Staat unterstützt wird, und wollen nicht mehr arbeiten? Nach nur 16 Arbeitsstunden am 6. Arbeitstag, wo doch morgen Wochenende ist?
Miguel (laut): Eres un fascista!
Fabrikbesitzer (die Nase rümpfend): Was?
Miguelito (ängstlich flüsternd): Sie sind eine Faschista!
Fabrikbesitzer (aggressiv): Das ist eine Frechheit, eine absolute Frechheit! Sie sollten unserem Land dankbar sein – unserem glorreichen Land, das den Großen Krieg überwunden hat und immer noch besteht! Sie sind gefeuert!
Zwei Betriebspolizisten ergreifen Miguel. Einer hält seinen rechten Unterarm fest, der andere zerstört ihm mit einem ultrastarken Elektromagneten den unter die Haut gepflanzten Nanochip. Miguel sackt unter einem Stöhnen zusammen und bleibt regungslos liegen. Der Fabrikant setzt seine Ronde fort. Die anderen Arbeiter am Fließband und den Maschinen versuchen sich nicht nach ihm umzudrehen und weiter auf ihre Arbeit zu konzentrieren. In der Luft liegt aber eine allgemeine, beißende Anspannung, ja Angst.
2. Akt: Die Festnahme
Oma Rosi holt ihre Enkelin Paula von der Grundschule ab. Die Kleine wartet bereits am Schultor.
Paula (aufgeweckt): Oma Rosi, hallo!
Oma Rosi (die Enkelin umarmend): Hallo, mein Engelchen! Wie war die Schule?
Beide beginnen zu Fuß den Heimweg
Paula: Wir haben heute das erste Mal etwas über den Dritten Weltkrieg erfahren – wie das damals war. Wie hast du den Großen Krieg denn erlebt? Das war doch bestimmt schrecklich!
Oma Rosi (wütend): Nein, früher war alles besser! (plötzlich flüsternd) Diesen Krieg gab’s gar nicht. Alles Lüge, Fake!
Paula (ungläubig): Bist du dir da sicher, Oma?
Oma Rosi: Ja.
Paula: Ganz sicher?
Oma Rosi (sich umschauend): Ja, ganz sicher, Kindchen! Aber lass uns lieber weitergehen und über was anderes reden!
Paula (bedrückt): Aber heutzutage geht’s den Menschen doch besser, dank dieser wunderschönen Chips! (streichelt ihren rechten Unterarm) Die fördern unsere Gesundheit.
Oma Rosi (sich zu Paula herabbeugend und ihr ins Ohr flüsternd): Weißt du, diese Chips…
Auf einmal wird Oma Rosi von jemanden von hinten an der Schulter angestupst.
Polizist (resolut): Entschuldigung!
Oma Rosi (sich wieder aufrichtend): Ja bitte? (den Polizisten erkennend) Oh!
Polizist (nüchtern): Polizeioberwachtmeister Harald. Personenkontrolle!
Oma Rosi (zur Enkelin): Los, Paula, lass uns rennen!
Sie läuft los und versucht ihre Enkelin mitzuziehen, die sich jedoch dagegen sperrt.
Paula (jammernd): Oma, warum rennen wir denn weg?
Polizist (beide verfolgend): Bleiben Sie stehen!
Oma Rosi und Paula werden nach nur ein paar Metern gestellt. Der Polizist hält beide grob an ihren Oberarmen fest.
Paula: Aua!
Oma Rosi: Was wollen Sie von uns?
Polizist (ein Scangerät mit kleinem Display aus der Tasche ziehend und mit strenger Miene und Stimme): Halten Sie sofort Ihren Chip an den Scanner zur Überprüfung Ihrer Personalien!
Oma Rosi hält ihren rechten Unterarm an den Scanner, der sofort piept, und schaut dabei dem Polizisten unverwandt und durchdringend in die Augen.
Polizist (das Scangerät auslesend): Rosaline Erhardt also!
Oma Rosi (stolz): Ja das bin ich!
Polizist: Sind Sie sich bewusst, was Sie hier gerade erzählt haben?
Oma Rosi: Was denn?
Polizist: Was Sie denken und wie es früher war!
Oma Rosi (schnippisch): Ich hab gar nichts gedacht und getan.
Paula (weinend): Omi, was ist los?
Polizist: Ich nehme Sie vorerst fest (legt Oma Rosi in elektromagnetisch schließende Handschellen), weil Sie eine Gefahr für die allgemeine Sicherheit unseres Staates sind. Mitkommen!
Der Polizist zieht Oma Rosi in seinen Dienstwagen, während die schluchzende Paula nicht von ihrer Seite weicht und mit ins Auto einsteigt.
3. Akt: Die Nachrichten
Es laufen die Abendnachrichten.
Nachrichtensprecherin (ohne Elan und offensichtlich von einem Blatt oder Monitor ablesend): Es ist 22.15 Uhr und ich bin Barbara Fröhlich. Willkommen bei „Exklusiv“ mit den Nachrichten des Tages! Heute wurde wieder ausgezeichnete Arbeit geleistet, um unser friedliches und produktives Deutschland zu sichern. Unsere ehrenhafte Polizei hat erneut dazu beigetragen den Frieden zu erhalten. So ist es ihr gelungen, die Bürgerin Rosaline Erhardt wegen des terroristischen Akts der Verbreitung von Fake News festzunehmen. Frau Erhardt wurde in einem Schnellverfahren verurteilt.
Es läuft einer kurzer Videobericht von einer Art Schnellgericht direkt im Gefängnis. Polizeioberwachtmeister Harald fungiert als Notrichter, da alle hauptamtlichen Richter in die zahlreichen laufenden Verfahren eingebunden sind. Oma Rosi steht aufrecht und immer noch stolz vor ihrem Ankläger, Richter und offenbar auch Vollstrecker des Urteils.
Polizist und Richter (nüchtern): Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?
Oma Rosi: Nein!
Polizist und Richter (wie auswendig gelernt): Sie sind zur Ausschaltung Ihres Chips und damit Ihrer Identität verurteilt. (mit einer lapidaren Handgeste)Und nun gehen Sie mir aus den Augen!
Oma Rosi verlässt stöhnend in gebückter Haltung das Gefängnis. Einzig der Gedanke an ihre Enkelin lässt sie nicht zusammenbrechen.
Nachrichtensprecherin: Es folgt ein Warnhinweis an die Bevölkerung. Die radioaktive Strahlung in der Außenwelt ist auch zehn Jahre nach dem Großen Krieg immer noch äußerst hoch. Es wird vermutlich länger als zwei Jahrhunderte dauern, bis die Außenwelt wieder betreten werden kann. Ein Hoch auf unsere sehr geschätzte Regierung, die dazu nicht erst seit heute die notwendigen Maßnahmen ergreift und uns sichere Arbeit in der geschützten Innenwelt zuteilt!